Von der Freiheit

Es war am Montag, den 28. Juni, um ziemlich genau 17:42 Uhr, als Elisabeth H. in leichter Sommerbekleidung, einen Koffer, der wohl das Nötigste enthalten mochte, fest in der linken Hand, auf die Straße trat, sich noch ein letztes Mal zum Haus ihrer Jugend umdrehte, um übergangslos mit der rechten einen Brandsatz durch das geöffnete Wohnzimmerfenster zu schleudern. Die Uhrzeit lässt sich so genau bestimmen, da just in dem Moment, als der großzügig über Polstermöbel, Teppiche und Gardinen verteilte Brandbeschleuniger seine Wirkung tat, die Linie 105 von der Haltestelle Grüner Weg abfuhr und dadurch den Fahrgästen für einen kurzen Moment freie Sicht auf das auflodernde Inferno bot; der Bus hatte an diesem Tag kaum Verspätung. Die befragten Anwohner sind sich darüber einig, dass Frau H. mindestens noch eine Minute lang, eher aber etwas länger, sehr ruhig auf dem Gehsteig gestanden und das sich ausbreitende Feuer mit wohlwollendem Lächeln und gelegentlichem bestätigenden Kopfnicken betrachtet habe.

Über ihr Verschwinden hindes herrscht Unklarheit, die Zeugenberichte diesbezüglich sind widersprüchlich. Herr M. aus dem Nachbarhaus will sie die Straße Richtung Ortsausgang hinabgehen gesehen haben, leichten Schrittes, wie damals, wenn sie zum Fluss ging. Ehepaar S. von gegenüber hingegen ist sich einig, sie in Richtung Zentrum eilend, als wolle sie einen Bus oder ähnliches erwischen, gesehen zu haben. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Nachbarsjunge B. darauf beharrt, sie habe sich nach einiger Zeit des Stehens, Lächelns und Nickens einfach in Luft aufgelöst oder aber in eine Schwalbe verwandelt. Genau wolle er sich nicht festlegen, ein Vogel sei aber definitiv vorhanden gewesen.

Aus den Trümmern des Hauses konnte nichts von Wert gerettet werden. Der Anschlag war gut vorbereitet; Zündschnur war vom Wohnzimmer in alle anderen, ebenfalls großzügig mit Brandbeschleuniger präparierten Räume ausgelegt. Die Trockenheit der letzten Wochen und die Holzstruktur des alten Hauses taten ihr Übriges.
Samuel B. - 26. Aug, 09:02

du kannst einfach verdammt gut schreiben.
das hier könnte echt der anfang eines romans sein oder einer langen novelle.
kompliment!

Anna Licht - 31. Aug, 02:51

danke.
wenn ich es oft genug höre, bekomme ich vielleicht endlich mal meinen hintern hoch und über fünf absätze raus.

Und Du so?

Du bist nicht angemeldet.

Sieh mal zu!

warm und licht und plüschig

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Nix geht verloren, der Treibsand wird archiviert: Deutsches Literaturarchiv Marbach. Danke.

Anna

- heißt eigentlich anders und schreibt seit 2002 hin und wieder was ins Internet, seit 2007 tut sie es hier. Ab und an denkt sie wegen Untätigkeit laut oder leise übers Löschen nach, durchringen kann sie sich nicht. Im Treibsand versinken Gefühle, Eindrücke und Textfetzen, die irgendwohin müssen, aber nirgends so richtig passen wollen.

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